Warnstreik abgesagt: Charité flüchtet sich in Schlichtung

In den Kampf um mehr Personal an der Charité kommt Bewegung. Um einen Warnstreik abzuwenden, hat die Klinikleitung nun die Schlichtung angerufen. Dass diese ein akzeptables Ergebnis bringt, ist jedoch unwahrscheinlich.

Von Rhonda Koch und Martin Haller

Für Montag, den 17. März, hatte die Gewerkschaft ver.di zu einem ganztägigen Warnstreik an der Berliner Charité aufgerufen. Zehn Stationen haben angekündigt komplett zu schließen. In über fünfzig weiteren Stationen haben Beschäftigte ihre Beteiligung am Streik angekündigt, was die Schließung von hunderten Betten bedeutet hätte.

Der Charité stand damit der wohl größte Warnstreik bevor, den es je in einem Krankenhaus in Deutschland gegeben hat.

Aufgrund der großen Bereitschaft zu streiken sowie der öffentlichen Resonanz und Unterstützung für die Forderungen der Beschäftigten hat sich die Arbeitgeberseite nun vier Tage vor dem Streiktermin in die Schlichtung geflüchtet.

Höhere Streikbereitschaft als 2011

Ihre plötzliche Einberufung zeugt von der Angst der Klinikleitung und des Senats vor einem Streik an Europas größtem Universitätskrankenhaus. Denn die Beschäftigten haben bereits in ihrem Streik 2011 bewiesen, dass sie in der Lage sind, der Charité einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Damals gingen ihr jeden Streiktag etwa eine Million Euro verloren.

Obwohl der angekündigte Warnstreik auf einen Tag begrenzt geblieben wäre, hätte er bereits eine gewaltige Schlagkraft entwickelt. Die angekündigte Beteiligung lag über der des ersten Streiktages beim Vollstreik 2011. Um den Arbeitskampf zu verhindern blieb der Klinikleitung nur noch übrig die Schlichtung anzurufen.

Arbeitgeberseite hat Zeit gewonnen

Dies bedeutet nun zunächst eine Friedenspflicht von drei bis vier Wochen. In dieser Zeit darf nicht gestreikt werden. Umso wichtiger ist es jetzt, den öffentlichen Druck zu erhöhen, um den Forderungen von ver.di an der Charité Nachdruck zu verleihen.

Denn die Arbeitgeberseite wird die gewonnene Zeit nutzen, um aus allen Rohren gegen die Forderungen der Gewerkschaft zu schießen. Diese sind nämlich die eigentliche Besonderheit diese Tarifrunde.

Ein direkter Kampf gegen Personalmangel

Erstmals in der Geschichte der Gewerkschaften fordern die Beschäftigten in einem Krankenhaus feste Mindestquoten von Personal zu Patienten und kämpfen damit direkt gegen den Personalmangel.

Auf diese Weise könnte dem massiven Personalabbau der letzten Jahre endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Die Forderung nach mehr Personal trifft dabei den Kern des neoliberalen Umbaus der Krankenhaussektors.

Krankenhäuser müssen sich unterbieten

Seit 1992 wurde das sogenannte Selbstkostendeckungsprinzip in der Krankenhausfinanzierung sukzessive abgeschafft und durch ein pauschalisiertes, gedeckeltes Finanzierungssystem ersetzt. Durch das 2004 eingeführte Fallpauschalensystem werden die Betriebskosten eines Krankenhauses durch einen festgesetzten Betrag pro Behandlung finanziert.

Seither konkurrieren Krankenhäuser darum, Therapien so kostengünstig wie möglich anzubieten. Gespart wird dabei vor allem bei den Personalausgaben. Da die Fallpauschalen jedoch jährlich über Stichproben ermittelt und angepasst werden, bringt jede Einsparung für das laufende Jahr zwar Gewinne, senkt jedoch gleichzeitig die Bemessungsgrundlage für die Zukunft.

Die Folgen des Fallpauschalensystems

Die Folge ist eine Abwärtsspirale, welche dazu führte, dass seither die Zahl der Vollzeitstellen drastisch zurückging. Gleichzeitig stieg die Zahl der Fälle deutlich an. Die daraus resultierende massive Arbeitsverdichtung bringt Leid – sowohl für die Beschäftigten, als auch für die Patientinnen und Patienten.

Diese werden durch dass System der Fallpauschalen in Wert gesetzt, was unter anderem dazu führt, dass lukrative, aber medizinisch häufig vollkommen sinnlose oder gar schädliche Operationen zunehmen, während Behandlungen, die nicht kostendeckend abgerechnet werden können, vermieden werden.

ver.di legt den Finger in die Wunde

Die Forderung nach mehr Personal legt nun den Finger in die Wunde. Denn eine Mindestpersonalbesetzung stellt das Bedürfnis in den Vordergrund. Das Bedürfnis der Patienten nach guter Pflege und Versorgung sowie das Bedürfnis der Pflegekräfte nach »guter Arbeit«.

Diese Forderung entspringt dabei der alltäglichen Erfahrung einer Pflege unter brutalisierten Arbeitsbedingungen. Der Personalmangel muss von den vorhandenen Pflegekräften kompensiert werden, denn die Patienten sind ja nicht weniger geworden, sondern die Fallzahlen sind seit der Einführung des Fallpauschalensystems sogar gestiegen.

Stress und Burnout sind alltäglich

Die Folge sind eine enorme Arbeitsverdichtung, Überstunden, immer wieder »Holen aus dem Frei« und vor allem ein ständiges Scheitern an den Ansprüchen des eigenen Berufsethos, sich sorgend um den Patienten zu kümmern.

Dies geht an den Beschäftigten nicht spurlos vorüber: Stress und Burnout sind alltäglich, viele wechseln nach einigen Jahren den Beruf.

Die Bewegung könnte auf andere Krankenhäuser ausweiten

Wie nötig eine Verbesserung der Arbeitsituation in der Pflege ist, ist allein an den von ver.di errechneten Zahlen zu erkennen. Insgesamt fehlen 162.000 Vollzeitstellen in den Krankenhäusern, davon allein 70.000 im Pflegebereich. Kein Wunder also, dass viele andere Krankenhäuser momentan gespannt die Auseinandersetzung an der Charité verfolgen.

Dementsprechend sitzt der Charité auch der Arbeitgeberverband der Krankenhausträger im Nacken, der nicht zu Unrecht befürchtet, dass mit einer erfolgreichen Tarifbewegung für mehr Personal an der Charité die »Büchse der Pandora« geöffnet wäre und sich die Bewegung auf andere Kliniken ausweiten könnte.

Kampf um »gute Arbeit« und gesellschaftliche Anerkennung

Besonders ist die Forderung aber gerade auch, weil es eine qualitative Forderung ist. Es geht sowohl um einen Kampf um »gute Arbeit«, als auch um die gesellschaftliche Anerkennung ebendieser Arbeit, die hauptsächlich von Frauen verrichtet wird.

Mehr Personal bedeutet weniger Belastung, weniger Überstunden und weniger Stress. Mehr Personal bedeutet somit auch die Chance für die Beschäftigten, das Berufsbild der Pflege wieder angemessen wahrnehmen zu können.

»Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus«

Dass das Thema Mindestbesetzung die Öffentlichkeit angeht, liegt auf der Hand, da die Qualität der Pflege entscheidend mit den Arbeitsbedingungen der Pflegenden zusammenhängt.

Nicht ohne Grund hat sich daher das Bündnis »Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus« gegründet, das seit bald schon einem Jahr die Auseinandersetzung begleitet und versucht die Öffentlichkeit mit einzubeziehen.

Solidaritätsaktion für den Montag geplant

Um nun während der Schlichtung den öffentlichen Druck zu erhöhen, findet trotz der erzwungenen Absage des Warnstreiks am kommenden Montag eine Solidaritätsaktion des Bündnisses für die Beschäftigten statt.

Hier soll ein deutliches Zeichen gesetzt werden, gegen die Unterwerfung der Gesundheitsversorgung unter eine Marktlogik, welche die Arbeit für die Beschäftigten zunehmend unerträglicher macht und eine gute medizinische Versorgung und Pflege für alle unterbindet.

Jetzt aktiv werden: Komm zur Solidaritätsaktion des Bündnisses »Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus«, 17. März 2014, 12:00 Uhr, vor dem Campus Charité Mitte (Kreuzung Luisenstr/Schumannstr.)

Foto: Mehr-Krankenhauspersonal.de